
Die Liebe zur klassischen Musik prägt mein Leben, solange ich denken kann. Erster Berührungspunkt war das Klavier, an dem mein Vater abends oft saß, um beim Spielen den Stress eines langen Arbeitstags loszulassen und wieder zur Mitte zu finden. Er spielte Brahms und Schubert, summte dabei leise mit und für mich war auf einer intuitiven Ebenes sofort klar: Diese Welt ist für mich und mein Leben von zentraler Bedeutung.
Es dauerte nicht lange, bis es mich selbst an die Tasten zog. Mit sieben Jahren begann ich auf eigenen Wunsch hin mit dem Klavierspiel und mein Vater vermittelte mir in der Folge auch das Interesse an historischen Aufnahmen. So hörte ich mich als Teenager kreuz und quer durch den Klavierkanon und versenkte mich in die knarzigen Soundscapes uralter Aufnahmen von Tastengrößen wie Artur Schnabel, Clifford Curzon, Sviatoslav Richter und anderen. Lang Lang und Yundi Li waren gerade groß im Kommen und meine Versionen von Popstaridolen.
Von der begrenzten Klangwelt des Klaviers verschob sich mein Interesse nach und nach in den unendlichen Kosmos des Orchesters. Mit den Ohren wurden bald die schwersten Schinken verputzt - von Brahms über Bruckner bis hin zu Mahler und weiter hinein ins 20. Jahrhundert. Vollends in Flammen war ich bei Wagner, in dessen endlose Musikdramen ich mich wie in dicke Romane versenkte und nebenbei mit Feuereifer langwierige Abhandlungen über Leitmotive verschlang. Diese Musik war außerdem auch mein erster bewusster Kontakt mit den Wundern, die menschliche Stimmen hervorbringen können.
Die stetig wachsende Begeisterung für Orchestermusik blieb nicht ohne Folgen: Nachdem das Abitur eingesackt war, wollte ich zunächst als Dirigent meine Liebe zum Beruf machen. Im September 2012 begann ich den Bachelor in Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig bei Prof. Ulrich Windfuhr. Allerdings musste ich bald einsehen, dass ich dem immensen inneren und äußeren Druck dieses einzigartigen Berufs nicht gewachsen war. So wählte ich meine mentale Gesundheit und kehrte dem Dirigierstudium nach nur einem Semester den Rücken - damals eine sehr schwere Entscheidung, auf die ich heute aber umso mehr stolz bin.
Mein Werdegang
Auf Umwegen
Nach dem Schiffbruch im Dirigierstudium dauerte es einen Moment, bis ich mich wieder gefangen hatte. Alternativlos erschien für's Erste der Rückzug von Leipzig nach Hamburg, auf die Heimatscholle. Ich kellnerte umher und versuchte mich halbherzig an einem Jurastudium - was man eben so macht, wenn man nicht weiter weiß.
Der Ansatz zu einer Lösung ergab sich, als ich ein Jahr später an der Uni Hamburg das Musikwissenschaftsstudium aufnahm. Das war zwar nicht wirklich das Richtige, aber eben auch nicht ganz falsch. Nachdem sich die Studienfrage geklärt hatte, hielt es mich nicht mehr länger in Hamburg - Berlin sollte es sein. Gemeinsam mit meinem besten Freund machte ich mich 2015 auf in die Stadt, die schon so viele Persönlichkeiten und Karrieren geformt hat. Und in meinem Fall kam hier endlich die entscheidende Zutat in mein Leben, ein neuer Weg hin zum Musikersein tat sich auf: Chorgesang.
Ganz ungeplant geriet ich in Berlin über Arbeitskontakte an einen ambitionierten Jugendchor - das Junge Consortium, geleitet von Vinzenz Weissenburger. Das gemeinschaftliche Singen in einer Gruppe junger, restlos musikbegeisterter Menschen zu erleben, war wie ein Befreiungsschlag. Weit weg erschien auf einmal der Stress und Leistungsdruck des Klaviers und ich erlebte zum ersten Mal die ungetrübte Freude am Musikmachen. In der Stimmbildung lernte ich meine erste Gesangslehrerin Nene Brzakovic kennen, mit der ich bald intensiv an der Ausbildung meiner Stimme arbeitete.
Die Weiche war endgültig gestellt, als ich 2018 in den Deutschen Jugendkammerchor aufgenommen wurde und hier eine Chorarbeit auf quasi professionellem kennenlernen durfte. Es mit vergleichsweise kurzem Vorlauf bis in ein nationales Auswahlensemble geschafft zu haben, ließ in mir zum ersten Mal den Gedanken aufkommen, dass der Gesang für mich mehr als nur private Freude werden könnte. Unter der Hand und ganz ohne Absicht hatte sich eine neue berufliche Perspektive zu eröffnen begonnen. Was jetzt noch im Weg stand, hätte niemand vorhersehen können: Corona.


Endlich angekommen
Ich hatte gerade eben den Bachelor in Musikwissenschaft abgeschlossen und vorsichtige erste Schritte in Richtung eines Sängerdaseins gemacht, als Anfang 2020 die Pandemie das musikalische Leben komplett zum Erliegen brachte. Die Vorstellung einer freischaffenden künstlerischen Existenz erschien mit einem Mal unmöglich, aber ich hatte (wieder) Glück im Unglück. Meine spontane Bewerbung auf ein Volontariat beim Hamburger Streichorchester Ensemble Resonanz, das ich schon lange kannte und für seine einzigartige Mischung aus Mut, Offenheit und lässiger Exzellenz sehr bewunderte, war erfolgreich. Im Rückblick nennt man zu so etwas wohl einfach Fügung.
Beim Ensemble konnte ich in den folgenden zwei Jahren dank eines extrem vielfältigen Aufgabenspektrums die unterschiedlichsten Kompetenzen aufzubauen und mich außerdem in Arbeitsorganisation und kreativem Denken üben. Die Stabilität eines Angestelltenverhältnisses war nach der wabernden Freiheit des Studiums genau richtig und half mir, mich weiter zu fokussieren. Aber trotz eines absolut spannenden Jobs bei einem großartigen Ensemble fühlte ich bald: Ohne Singen geht es nicht!
Im Herbst 2021 begann ich deshalb, mich wieder mehr um sängerische Aktivitäten zu bemühen und wechselte zu Professor Jörn Dopfer von der HfMT Hamburg, der entscheidende Impulse gab, um mein Singen auf ein neues Level zu heben. 2022 war dann sängerisch schon wieder so viel los, dass ich meine Anstellung von Voll- auf Teilzeit reduzieren musste. Aber auch das reichte bald nicht mehr: Erste größere Auftritte als Solist weckten in mir Lust und Selbstbewusstsein, doch endlich alles auf eine Karte zu setzen und mich ganz dem Singen zu verschreiben.
Diesem Wechsel in die alleinige Tätigkeit als freier Sänger und Autor im Sommer 2023 habe ich auch mit einem Umzug zurück in meine Wahlheimat Berlin Ausdruck verliehen und fühle mich nun endlich ganz angekommen - bei mir selbst und in meiner Profession! Sänger sein, mich in großartiger Musik ausdrücken, dabei Körper mit Geist und Seele zu vereinen und auch noch anderen eine Bereicherung sein zu dürfen ist alles, was ich mir von einem Beruf wünschen könnte. Alle Umwege, die ich auf meinem geschlängelten Weg dorthin genommen habe, haben mich lernen, wachsen und zu dem Künstler werden lassen, der ich heute bin.