
Ein Klassiker - neu gehört und befragt.
Franz Schuberts "Die Schöne Müllerin" in Klang und Aktion
Zum Programm
Ein hypersensibler junger Mann verlässt sein gewohntes Umfeld und begibt sich auf
eine Wanderung ins Ungewisse. Sein einziger Gesprächspartner ist die imaginäre
Stimme des ihn begleitenden Baches, dem er im Stillen seine einsame Seele ausschüttet.
Dann stürzt eine enttäuschte Liebe seine ohnehin übervolle Herzkammer ins Chaos und in der Unfähigkeit, sich anderen mitzuteilen, geht der junge Müller schließlich ins Verderben:
Er ersäuft sich in ebenjenem Wasser, dem er einzig sein Innenleben offenbart hatte.
ist das denn meine straße? o bächlein, sprich, wohin?
du hast mit deinem rauschen mir ganz berauscht den sinn.
Der Titel von Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" führt in die Irre, betritt die titelgebende junge Frau doch nie als selbstständige Figur die Bühne dieser Geschichte.
Wir sehen von ihr nur ein schillerndes Zerrbild, jene überhöhte Vision, zu der sie sich in der überlebhaften Vorstellung unseres hochempfindsamen Protagonisten verwandelt. Wenn das plötzliche Auftauchen eines muskulösen Jägers dann eine Konkurrenzsituation zu Ungunsten des jungen Müllers entstehen lässt, muss man ehrlicherweise sagen - ob es zuvor jemals eine echte Beziehung zu der Angebeteten gegeben hat oder sich alles nur in der Fantasie unserer einsamen Hauptfigur abgespielt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Die jahrhundertealte Tradition der kulturellen Überhöhung männlicher Einsamkeit macht die Relevanz dieser Geschichte für unsere Gegenwart aus, wo intensiv verhandelt wird,
welche Schwierigkeiten die traditionellen Geschlechterrollen mit sich bringen.
ich meint, es müsst in meinen augen stehn,
auf meinen wangen müsst man's brennen sehn,
zu lesen wär's auf meinem stummen mund,
ein jeder atemzug tät's laut ihr kund,
und sie merkt nichts von all dem bangen treiben.
Der ursprünglich von Wilhelm Müller konzipierte Gedichtzyklus erzählt eine facettenreichere Geschichte als jene Auswahl, die Schubert bei der Komposition traf. Unvertont blieben zum
einen ein umfangreicher Prolog und Epilog, in denen sich der Dichter direkt an sein Publikum wendet - die Geschichte wird so mit zwei Texten auf einer übergeordneten Reflektionsebene eingerahmt. Zum anderen überging Schubert an verschiedenen Punkten in der Handlung vier weitere Gedichte, die dem Verlauf des Geschehens interessante Aspekte hinzufügen.
Eine Aufführung zu schaffen, die Müllers Konzept und Schuberts Lesart nebeneinander stellt, miteinander verzahnt und in Reibung bringt, war mein Ziel bei der Entwicklung dieses Abends.
und in den bach versunken der ganze himmel schien,
und wollte mich mit hinunter in seine tiefe ziehn.
und über den wolken und sternen da rieselte munter der bach
und rief mit singen und klingen: geselle, geselle, mir nach.
Neben Gesang und Klavier braucht es eine weitere Person, die den unvertonten Texten schauspielerisches Leben einhaucht. Gleichzeitig soll sie als Beobachterin und Gegenüber Schuberts Protagonisten mit dem übervollen Herzen Gelegenheit zur szenischen Interaktion geben und so die Ausdrucksmöglichkeiten und Bedeutungsebenen unserer Interpretation vervielfältigen. In ihr betritt die Figur der allwissenden Dichterin die Bühne ihrer eigenen Geschichte und wird zusehends von deren Sog erfasst. So verschmelzen in diesem Programm nicht nur Wilhelm Müllers und Franz Schuberts Versionen der "Schönen Müllerin" sondern
auch das private Format des Liederabends mit dem der extrovertierten Performance.
Ich bin sehr stolz, mit herzzuvoll mein erstes Soloprogramm präsentieren
zu können und das gleich in drei Städten: Berlin, Rostock und Hamburg.



